Thomas Thieme spielt Carl Borgward

"Ich habe das Gefühl, man hat diesen Mann in den Tod getrieben"

von Eric Leimann

Der geniale Bremer Automobil-Konstrukteur Carl Borgward war einer der Helden des Wirtschaftswunders – bis er 1961 überraschend pleite ging. Mit Borgward verschwand eine große deutsche Automarke von der Bildfläche.

Im Dokudrama über jene Ereignisse, die zur Insolvenz und der Entlassung von 20.000 Menschen führten, spielt Thomas Thieme den knorrigen Automagnaten. Der 70-jährige Spezialist für große deutsche Biografien findet im Interview zu "Die Affäre Borgward" (Montag, 7. Januar, 20.15 Uhr, ARD) Gegensätze, aber auch erstaunliche Parallelen zwischen dem Deutschland der Wirtschaftswunderzeit und unserer globalisierten Gegenwart.

prisma: Sie spielen mal wieder eine Figur der deutschen Geschichte ?

Thomas Thieme: Ja, ich bin in dieser Hinsicht leidgeprüft (lacht). Ich glaube, es gibt keinen Schauspieler, der da in den letzten Jahren mehr Erfahrung sammeln durfte. Ich war Krupp, Kohl, Kaiser Wilhelm, Hoeneß, Bormann und nun Borgward. Ich habe das alles gerne gespielt, keine Frage.

prisma: Wie haben Sie sich der Figur Carl Borgward genähert – als jemand, der damals in der DDR lebte und vom westdeutschen Wirtschaftswunder ein Stück weit entfernt war?

Thieme: Ich bin 1948 geboren, war also ein Kind, als Borgward in den 50er Jahren so erfolgreich war. Mein Vater hatte damals beruflich mit der Automobilbranche zu tun. Von Borgwards Modell Isabella war er geradezu begeistert. Insofern verbindet mich damit auch ein Stück persönliche Geschichte. Dennoch wusste ich relativ wenig über den Untergang von Borgward – und seine Gründe.

prisma: Was waren die Gründe für Borgwards Scheitern?

Thieme: Sie sind vielfältig. In erster Linie war es der Bremer Senat, der den Mann und sein Werk auf spektakuläre Art hängen ließ. Man verweigerte ihm dringend nötige Kredite und schickte so 20.000 Menschen in die Arbeitslosigkeit. Das war schon ein Wahnsinn – und ziemlich dilettantisch. Aber es gab auch hausgemachte Gründe für die Pleite. Borgward war der Sohn eines kleinen Kohlenhändlers aus Hamburg, der in Bremen eine Weltkarriere machte. Er war ein großer Erfinder und Designer, aber sicherlich kein guter Kaufmann.

prisma: Wie konnte er dann überhaupt diese Karriere machen?

Thieme: Weil seine Autos etwas hatten. "Der Spiegel" widmete ihm noch vor der Pleite eine große Geschichte unter dem Titel "Der Bastler" – was natürlich eine Diffamierung sein sollte. Für mich ist es eher ein Lob. Borgward spiele ich als angezählten Mann. Das sind die Charaktere, die mich am meisten interessieren. Deshalb liebe ich auch Shakespeare so sehr. Da sind auch alle Charaktere angezählt. Die schneidigen Typen sind nicht so mein Fall.

prisma: Haben Sie verstanden, wie Borgward als genialer Bastler und schlechter Geschäftsmann überhaupt eine Automarke von Weltruf entwickeln konnte?

Thieme: Als junger Mann hatte er viel Kraft, er war der klassische Naturbursche. Sein Tatendrang und sein Talent als Autobauer überdeckte damals seine Defizite. Dazu war er wahnsinnig ehrgeizig und recht eitel. Man kann es in jener dokumentarischen Filmszene sehen, die ihn beim Empfang des Bundesverdienstkreuzes zeigt. Wenn so einer auf die "Geringverdiener" im Bremer Senat traf, kam natürlich heraus, dass er sie nicht als Menschen auf Augenhöhe empfand. Er war dann auch herablassend und kein Gentleman. Ich empfinde Borgward als einen seltsam zwiespältigen Charakter. Er war gleichzeitig Prolet und Künstler.

prisma: Welches Image, welche Qualitäten hatten die Autos von Borgward?

Thieme: Ich bin im Zuge der Dreharbeiten zum Ehrenmitglied des Borgward-Clubs Bremen geworden. Insofern habe ich mich ein wenig damit beschäftigt. Borgward hatte das Image des Künstlerischen. Die Marke war nicht vergleichbar mit Mercedes, BMW oder Volkswagen. Man könnte Borgward vielleicht mit dem Markenimage von Saab ein paar Jahrzehnte später vergleichen. Ein Auto für Individualisten, das eben auch ein bisschen anders aussah und funktionierte. Allein wie das berühmte Modell Isabella aussah. Das Zweifarbige mit den eleganten Linien. Diese Zierleiste am Cabrio. Es war schon ein künstlerisches, sehr schönes Auto. Zweifellos eines der schönsten, das jemals gebaut wurde.

prisma: Im Zuge der Borgward-Pleite ging damals die Angst um. Es war die erste große Firmenpleite der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Viele dachten: Nun geht hier alles wieder den Bach runter ...

Thieme: Sie haben recht, es war die erste große Pleite – und sie löste Angst aus. Vor allem auch, weil sie unnötig war. Heute sind wir natürlich viel schlauer. Krisen dieser Art gehören in der heutigen Wirtschaft zur Tagesordnung, nur werden sie anders gehandhabt. Man lässt eine solche Firma heute nicht mehr pleitegehen. Im Vergleich mit dem Dieselskandal waren die Probleme Borgwards damals ja ein Witz.

prisma: Wir leben also in einer ganz anderen Zeit?

Thieme: Ja und nein. Was offensichtlich gleich blieb, ist die Inkompetenz der Politik. Das erzählt der Film sehr schön, wie sich die Politiker – natürlich von Neid zerfressen auf den dicken, reichen Alten mit der großen Fresse – an diesem Unternehmer rächen wollen. Der hatte mal 103 Millionen Mark auf der Tasche. Trotzdem ist der Umgang mit Borgward natürlich ein Skandal. Wie kann man aus Neid und Inkompetenz eine Firma mit 20.000 Menschen untergehen lassen? Bremen war damals das reichste Bundesland von allen. Immerhin fanden die meisten Bremer nach dem Borgward-Aus verhältnismäßig schnell wieder eine Arbeit – was natürlich auch am Wirtschaftswunder lag.

prisma: Ihr Film zeichnet auch prägnant die Macho- und Mannsbilder der damaligen Zeit. Man fühlt sich von Alpha-Männern ohne Hemmungen umgeben.

Thieme: Na klar, als Unternehmer handelte man damals gerne nach klassischer Gutsherrenart. Aber es war die Art der 50er. Heute herrscht eine andere Gutsherrenart. Die Wirtschaftsbosse leben ihre Macht scheinbar subtiler aus. Am Ende jedoch ist der Unterschied zu den frühen 60ern gar nicht so groß. Siemens redet gerade darüber, dass sie 12.000 Leute entlassen wollen. Kapitalismus funktioniert im Grunde immer gleich. Er war zu Zeiten August Bebels nicht anders als heute. Natürlich ist die Kommunikation raffinierter geworden, aber das Prinzip, dass der Dicke den Dünnen entlässt, ist immer geblieben.

prisma: Es gibt im Film einige wenige dokumentarische Szenen. Eine davon gegen Ende der 90 Minuten ist sehr bewegend, weil die Tochter Carl Borgwards zum Tod ihres Vaters kurz nach seiner Ausbootung Stellung nimmt. Haben Sie sie kennengelernt?

Thieme: Es gab eine Begegnung am Set, wo wir uns kurz unterhalten haben. Schön war, dass sie mir sagte, sie hätte ihren Vater in meiner Darstellung wiedererkannt. Das finde ich umso schöner, weil ich ja ein Schauspieler bin, der eher von innen spielt. Ich versuche mich nicht in historische Figuren zu verwandeln und mache auch vor so einer Rolle kein zweimonatiges Praktikum als Automobilschlosser. Ich versuche, einen Menschen zu verstehen, bevor ich ihn spiele.

prisma: Ist Carl Borgward tatsächlich gestorben, weil er nach der Pleite ein gebrochener Mann war?

Thieme: Ich sehe da schon einen Zusammenhang. Und seine Tochter wohl auch. Ich habe das Gefühl, man hat diesen Mann in den Tod getrieben. Das Automobilwerk war sein Ein und Alles. Wie grausam war es, dass man ihn – nachdem er seine Macht abgegeben hatte – verbot, das Werksgelände zu betreten?

prisma: Es ist also auch in dem Sinne eine Geschichte der Wirtschaftswunderzeit, dass dieser Mann nichts mehr im Leben hatte, als es seine Firma nicht mehr gab?

Thieme: Ja, ich glaube, so war es. Er war nicht der Typ, der Briefmarken sammelt. Das Familienleben, so hört man, war weniger sein Ding. Er ist nach Hause gekommen, hat gegessen und sich danach zum Basteln zurückgezogen. Es gab wohl noch nicht mal die sogenannten Weibergeschichten bei ihm. Offenbar fehlte auch dafür Zeit und Muße. Als das Werk Geschichte war, wartete dieser Mann eigentlich nur noch auf seinen Tod.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

Das könnte Sie auch interessieren