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"Die Getriebenen": Angela Merkels erste große Krise

von Eric Leimann

Das Politdrama "Die Getriebenen" nach dem Sachbuch von Robin Alexander beleuchtet das Management der Bundesregierung in der Flüchtlingskrise 2015. 3sat zeigt den Film nun erneut.

3sat
Die Getriebenen
Politdrama • 24.11.2020 • 20:16 Uhr

Angela Merkel, die scheinbar so müde Kanzlerin auf den letzten Metern ihrer politischen Karriere, ist derzeit wieder in aller Munde. Als Krisenmanagerin soll sie Deutschland durch die Coronazeit manövrieren, sie appelliert nachdrücklich und ausdauernd an die Vernunft der Bevölkerung und gerät dennoch vermehrt ins Zentrum von Kritik. Was dabei in der 66-Jährigen vorgeht, darüber kann nur spekuliert werden. 3sat wiederholt nun das politische Fiction-Drama "Die Getriebenen", das anhand einer anderen Krise einen Blick ins Innenleben der Kanzlerin wirft: der europäischen Flüchtlingskrise 2015. Der Film von Stephan Wagner, der auf der gleichnamigen Buchvorlage des Politjournalisten Robin Alexander basiert, ist einer von elf Nominierten, die beim "FernsehfilmFestival Baden-Baden" für den Preis als bester Fernsehfilm infrage kommen.

Imogen Kogge und andere bekannte sowie weniger bekannte Schauspieler versuchen, Politiker des öffentlichen Lebens zu "imitieren", was dem Film – bei aller Ernsthaftigkeit seiner Machart – eine bisweilen unfreiwillige Komik verleiht. Ein Dilemma, mit dem das Projekt leben muss. Hätte man es anders gewollt, wäre man beim Genre Dokudrama gelandet. So aber sieht man Josef Bierbichler als Horst Seehofer (überzeugend!), Wolfgang Pregler als dauerhustenden Thomas de Maizière, Tristan Seith ("Im Knast") als Peter Altmaier oder Walter Sittler ("Der Kommissar und das Meer") in der Rolle des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier.

Der Film beschreibt – wie das Buch – eine Chronologie der Ereignisse und dabei wird deutlich, wie schnell Politik in Zeiten der globalisierten, digitalen und voll vernetzten Welt zu funktionieren hat. Amtsträger hetzen von Meeting zu Meeting, von Pressekonferenz zu Pressekonferenz, von Verkehrsmittel zu Verkehrsmittel. Ein Briefing dessen, was im nächsten Moment auf jeden Fall "gewusst werden muss", findet im Laufschritt zwischen dem Ereignis-Stakkato durch Berater statt. Es ist jener Teil des Einblicks in den Politbetrieb, den der Film von Produzent und Regisseur Stephan Wagner (Grimmepreis 2013 für "Der Fall Jakob von Metzler") durchaus faszinierend darstellt.

Alle offiziell gewordenen Gespräche, Verlautbarungen, Pressekonferenzen des Krisensommers 2015, als jene "Bedrohung" im Raum stand, dass Deutschland von Flüchtlingen förmlich überrannt werde und hierzulande sämtliche Infrastruktur zusammenbräche, sind eins-zu-eins der Realität entnommen. Sie sind zudem auch in zeitlich-dramaturgischen Abfolge korrekt montiert. Dennoch ist die "Anwendung" des Genres Fiction-Drama bei diesem Stoff, der quasi nur aus bekannten Gesichtern des öffentlichen Lebens besteht, per se mutig.

Was zum dokumentarisch verbürgten Teil hinzukommt, sind Szenen wie jene zwischen Angela Merkel und ihrem Mann Joachim Sauer (Uwe Preuss). Daheim auf der Couch oder am Abendbrottisch. Szenen, für die Drehbuchautor Florian Oeller ("Nur eine Frau") spekulieren durfte, was in diesen Momenten gesagt wurde, welche Emotion ausgespielt wurden. Oeller und Regisseur Wagner hielten sich bei diesen und anderen "Privatgesprächen" von Politikern mit Lebenspartnern oder persönlichen Beratern an jene Positionen und Wandlungen, die jene Protagonisten "in echt" durchmachten. Ihre Psychologie folgt sozusagen den (späteren) Handlungen.

Trotzdem wird der Film an jenen Stellen zur sanft interpretierenden Spekulation. Vielleicht ist es jenes "Menschelnde", das dazu führt, dass Angela Merkel, die sich von einer zögerlichen Krisenmanagerin, ja fast Aussitzerin zur "Ja, wir schaffen das"-Kanzlerin entwickelt, im Film besser wegkommt, als im Sachbuch von Robin Alexander.

Wer "Die Getriebenen" einschaltet, wird ständig und unentwegt Schauspieler mit ihren Originalen vergleichen. Ist Markus Söder (Matthias Kupfer) wirklich so machtgierig und intrigant? Und denkt Sigmar Gabriel (Timo Dierkes) tatsächlich bei jedem seiner Auftritte stets den damit verbundenen PR-Effekt entscheidend mit? Einerseits ist es ein bisschen schade, dass das zweistündige TV-Werk "Die Getriebenen" mitten in einer globalen Mega-Krise ausgestrahlt wird, in der das – eigentlich gerade wieder stärker virulent gewordene Thema Flucht – kaum jemanden interessiert. Andererseits verfolgen durch Corona wieder deutlich mehr Menschen Politik und denken darüber nach, was sie und ihre Protagonisten für die Gesellschaft an Arbeit leisten.

Vielleicht ist dies der interessanteste Vergleichspunkt eines Films über die Flüchtlingskrise 2015 und Corona fünf Jahre später: Man schaut den weitgehend gleich gebliebenen deutschen Politikern noch mal genauer auf die Finger und spürt ihnen in den Charakter hinein. Kann man sich auf diese Leute verlassen? Und wenn ja, in welcher Hinsicht?


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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