Regisseur im Interview

M. Night Shyamalan und die Angst vor den Dreharbeiten

von Anne Funk

Mit "Glass" liefert Regisseur M. Night Shyamalan den dritten Teil seiner "Eastrail 177"-Trilogie. Im Interview spricht er über Erwartungshaltungen, Superhelden und was für ihn Erfolg ausmacht.

Als M. Night Shyamalan 1999 mit dem Mystery-Thriller "The Sixth Sense" seinen internationalen Durchbruch feierte und jeder plötzlich wusste, was ein "Plot-Twist" ist, war er gerade 29 Jahre alt. Der Erfolg legte für den Regisseur indischer Abstammung die Basis, weitere Thriller zu schaffen. Es folgte ein Jahr später "Unbreakable – Unzerbrechlich", ein weiterer Thriller mit mysteriösem Vorzeichen. Was damals niemand wusste: Der Film war der erste Teil einer Trilogie, die nun mit "Glass" ihren Abschluss findet, nachdem 2016 mit "Split" bereits der zweite Teil in die Kinos kam. Beim Interview in München merkt man dem 48-Jährigen mit jedem Satz an, wie sehr er das Filmemachen liebt und die Arbeit vor allem seiner jungen Kollegen schätzt. Doch dem Regisseur ist auch bewusst, wie das Geschäft funktioniert: Das Publikum hat eine Erwartungshaltung, die es zu befriedigen gilt. Und gefallen will M.Night Shyamalan um jeden Preis ...

prisma: Bruce Willis hat als David Dunn bereits in "Unbreakable" bemerkt, dass er Superkräfte hat, in "Split" sehen wir James McAvoy, wie er sich zum monströsen Biest verwandelt. Nun werden ihre Geschichten in "Glass" zusammengeführt. Ist Ihr neuestes Werk ein Superhelden-Film?

M. Night Shyamalan: Ich denke, die Sprache ist eine andere, der Blickwinkel auf den Film. Als ich vor dem Dreh Disney meine Ideen präsentierte, sagte ich, sie sollten sich die Welt nicht wie in einem Marvel-Film vorstellen. Da sollte ein Unterschied sein. Eine normale Welt, in der niemand herumfliegt, niemand Laserstrahlen aus seinen Augen schießt und auch keine Raumschiffe vorkommen. Aber: Könnte eine Mutter nicht vielleicht doch ein Auto hochheben, wenn ihr kleines Kind darunter liegt und sie nur verängstigt genug ist? Wäre das nicht auch eine Version eines Superhelden?

prisma: War es schwer, sie davon zu überzeugen?

Shyamalan: Zunächst ja. Immer wieder habe ich gesagt: "Lasst die Marketing-Kampagne nicht aussehen wie bei Marvel, wir sind keine Konkurrenz dazu." Das Filmplakat ist ein perfektes Beispiel: Sie präsentierten mir eine erste Version, und ich sagte: "Das sieht genau aus wie ein Marvel-Film! Das ist nicht der Film, den wir gemacht haben!"

prisma: Aber wo genau ist der Unterschied zu Marvel?

Shyamalan: Der Film handelt von drei Menschen, die denken, sie seien Superhelden. Sie sind in einem Krankenhaus, wo sie wegen einer angeblichen Psychose behandelt werden. Das glauben nicht nur die Ärzte, auch andere Leute sehen das so. Und das spiegelt das finale Poster wider: Drei normale Leute, die alle nur denken, sie wären bestimmte Personen. Dieser Unterschied ist sehr wichtig. In Marvel-Filmen gibt es unglaubliches CGI, viel Action. Bei uns sieht man 30 Sekunden jemandem zu, der einen Kaffee trinkt. Ist das nicht cool?! Man sieht einen Superhelden, der über etwas nachdenkt, während seine Hand zittert, die eine Kaffeetasse hält. Die Zerbrechlichkeit eines menschlichen Wesens zu sehen, das ist einfach schön!

prisma: Mit dem Mystery-Thriller "The Sixth Sense" hatten Sie Ihren ersten großen Erfolg, auch der folgende Film "Unbreakable" fand sein Publikum, wieder ein Thriller. Wie hat das Ihr folgendes Schaffen beeinflusst?

Shyamalan: Ich weiß, dass ich mit dem Publikum harmoniere, wenn ich Thriller mache. Das ist ein Fakt. So einfach ist das. Sie verbinden etwas mit meinem Namen. Wenn die Menschen ihn auf einem Poster sehen, erwarten sie auch etwas ganz Bestimmtes. Es geht immer nur um den Rahmen. Das habe ich verstanden. Es ist eine seltene und schöne Sache, so eine starke Verbindung zum Publikum zu haben. Quasi eine Autoren-Beziehung, das gibt es normalerweise nur in der Buchwelt.

prisma: Inwiefern?

Shyamalan: Sogar ein Erfolgsautor muss einen anderen Namen annehmen, wenn er das Genre wechselt. Wenn ich ein Stephen-King-Buch in die Hand nehme, dann sollte das auch eine Stephen-King-Geschichte sein! Er sollte mir keine Romanze erzählen! Jetzt, da ich älter bin, verstehe ich das Privileg, das darin steckt. Das Gute ist, dass die Beziehung auf einer Originalgeschichte von mir begründet ist. Schlimmer wäre es, wenn ich einen Bestseller gefunden und verfilmt hätte, dann hätte die Welt eine Beziehung zu mir, die aber nur auf diesem Buch basiert.

prisma: Wenn Sie mit diesem Wissen zurückschauen: Würden Sie "Unbreakable" heute anders umsetzen, als Sie es damals getan haben?

Shyamalan: Ich denke, da schlagen in mir zwei Herzen: Ich bin leidenschaftlich künstlerisch, aber ich will verzweifelt jedem gefallen. Zu meinem jüngeren Ich würde ich sagen: "Mach einfach dein Ding!" Die Kunstform des Filmemachens ist eine Kunstform des Ansammelns. Die großen Filmemacher wissen das. Man macht einen Film nicht in einem Stück, man sammelt Schritt für Schritt, und erst am Ende kommt der Einschlag. Der Film sollte noch nachwirken, wenn man bereits auf dem Weg aus dem Kino ist und einen weiter begleiten. Das ist das Ziel für deine Karriere, würde ich meinem jüngeren Ich sagen. Und sorge dich nicht um die Einnahmen, nur darum, was du fühlst und was dich antreibt. Das muss ich mir immer noch jeden Tag sagen.

prisma: Zu welchem Zeitpunkt ist denn ein Film für Sie persönlich ein Erfolg?

Shyamalan: Wenn ich mir selbst diese Frage stelle und Reaktionen anderer beiseite lasse, frage ich mich eigentlich: Was würde mich am glücklichsten machen? Die Antwort für "Glass" ist: Wenn ich am Ende das Gefühl habe, dass ich die Charaktere wahrhaftig geehrt habe, in jeglicher Hinsicht. Sie erwachen zum Leben, sie sind real, schön, komplex. Ob ich das erreichen konnte – genau das ist die Definition eines Erfolgs für mich. Denn all die anderen Sachen werden einfach passieren.

prisma: Sie engagieren sehr gerne junge Mitarbeiter, die noch nicht so etabliert sind im Filmgeschäft. Warum? Wäre es nicht einfacher, mit erfahrenen Leuten zu arbeiten?

Shyamalan: Das ist es, tatsächlich. Aber ich selbst habe sehr jung angefangen. Jeder, mit dem ich gearbeitet habe, war mindestens 25 bis 30 Jahre, manchmal sogar 40 Jahre älter als ich. Aber diese Balance hat funktioniert. Die jungen Mitarbeiter sagen: "Versuch' einfach mal dieses!", während die älteren sagen: "Das ist verrückt, das kannst du nicht machen!" Ich selbst habe damals immer darauf bestanden: "Ihr müsst mir zuhören, wir versuchen das jetzt auf meine Weise." Und ich versuche, das noch immer so zu machen, immer noch ein Student zu sein – inklusive der Angst, die man als junger Mensch am Set hat.

prisma: Sie haben Angst bei den Dreharbeiten?

Shyamalan: Wenn ich nicht immer noch Angst hätte, ans Set zu kommen und zu drehen, dann denke ich nicht ausreichend darüber nach. Ich sollte mich übergeben vor Aufregung, so ängstlich sollte ich sein. Erst dann merkt man, dass man etwas Bedeutsames macht. Du verstehst es vielleicht zunächst nicht, darum übergibst du dich ja. Es sollte etwas Einzigartiges sein, etwas, in das du dich reinhängst, bei dem du dir aber nie vollständig sicher sein kannst. All diese neuen Filmemacher haben das. Sie sind noch nicht festgefahren, sie lernen noch.

prisma: Das heißt, die erfahrenen Filmemacher sind festgefahren in ihrem Tun?

Shyamalan: Unser Gehirn will uns ständig effizient werden lassen, und das ist schlecht, denn man steckt fest in seinen festgefahrenen Wegen. Meine Mutter zum Beispiel macht Dinge nur auf eine ganz bestimmte Weise, fährt nur diesen einen Weg zum Supermarkt. So wird man einfach mit der Zeit.

prisma: Und deswegen engagieren Sie nur unerfahrene Kameraleute oder Komponisten?

Shyamalan: Ich habe damals einen Independent-Film namens "It Follows" gesehen und sagte mir: "Ich will diesen Kameramann." Dann kam dieser ruhige junge Mann mit seinen 30 Jahren, und ich dachte mir: "Der Typ kann doch nicht die Verantwortung am Set übernehmen, das ist verrückt!" Doch wir kamen sehr gut miteinander aus. Bevor wir mit dem Dreh begannen, zog Mike (Gioulakis, Anm. d. R.) für einen Monat nach Philadelphia, nur um Zeit mit mir zu verbringen. Ganz ohne Bezahlung! Nur um über den Film zu reden. Würde man einen 60-jährigen, erfahrenen, Weltklasse-Kameramann, der 30.000 Dollar pro Woche verdient, dazu bekommen? Der erfahrene Kameramann ist natürlich brillant, aber solche Dinge macht er nicht mit.

prisma: West Thordson, der die Musik für "Split" und "Glass" komponierte, war ebenfalls ein Neuling ...

Shyamalan: Er wusste nicht mal wirklich, wie man Musik für einen Film komponiert. Und wir sagten, er solle einfach machen. Er ist ein Künstler, hat alles selbst aufgenommen. Als wir mit dem Dreh fertig waren, ging er mit seinen Mikrofonen in das Krankenhaus, die ganze Nacht, spielte mit einer Trommel. Ich habe mit vielen großen Komponisten gearbeitet, zum Beispiel mit Hans Zimmer. Ich weiß nicht, ob Hans Zimmer um vier Uhr nachts mit einer Trommel und einem Mikro in eine Klinik gehen und das aufzeichnen würde. Der Komponist versucht, den Geist dieser Institution zu finden, den Geist von dem, was die Bewohner dort fühlen. Alles, was Sie im Film hören, ist West Thordson.

prisma: In Ihren Filmen sind die Charaktere sehr wichtig, Sie fokussieren sich auf sie und ihre Entwicklung. Wussten Sie vorher, dass die Bruce Willis, Samuel L. Jackson und James McAvoy gut zusammen harmonieren würden?

Shyamalan: Bei Bruce und James wusste ich sofort, dass es harmoniert. James war der Einzige, der diesen Charakter hätte spielen können. Bruce und James sind beide Entertainer, sie sind von Natur aus Stars und müssen nichts mehr ausprobieren. Bruce kam am Ende der Premiere von "Split" zu mir, heimlich, denn wir wollten ja nicht verraten, dass er im Film ist. Beim Empfang habe ich das erste Foto von den beiden zusammen gemacht. Und schon auf dem Bild, das nun auf meinem Schreibtisch steht, sieht man, dass es ziemlich gut funktionieren wird.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

Das könnte Sie auch interessieren