Krimi im Ersten

"Tatort: Totenstille": Ein Kauz mit Kanten

22.01.2016, 16.24 Uhr
von Detlef Hartlap
Kriminalhauptkommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow) am Boden. Wie gut, dass Polizeihauptmeisterin Mia Emmrich (Sandra Maren Schneider) Ben Lehner (Benjamin Piwko) stellt.
BILDERGALERIE
Kriminalhauptkommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow) am Boden. Wie gut, dass Polizeihauptmeisterin Mia Emmrich (Sandra Maren Schneider) Ben Lehner (Benjamin Piwko) stellt.  Fotoquelle: SR/Manuela Meyer

Im neuen Fall aus Saarbrücken vollzieht Devid Striesow eine Wandlung und taucht tief in die Welt der Gehörlosen ein.

Ein Tatort mit drei Entdeckungen, was will man mehr! Die erste Entdeckung ist ein bestens Vertrauter: Devid Striesow, dessen Rolle als Saarbrücker Kommissar Stellbrink einem Relaunch unterzogen wurde.

Die zweite heißt Kassandra Wedel, eine gehörlose Tänzerin, die, je länger der Film dauert, zum Kraftzentrum dieses Tatorts wird.

Die dritte Entdeckung ist ein Fall für die Twitteristen und Facebookler: Benjamin Piwko. Auch er gehörlos ("taubstumm" sagt Stellbrink nach alter Manier). Benjamin Piwko spielt Ben Lehner, kraftstrotzend und gutmütig, dabei auf unschuldige Weise kriminell und an den jungen Marlon Brando in "Faust im Nacken" erinnernd. Ben in der Gefängniszelle – da wackeln die Mauern. Der Hulk von der Saar.

Der Tatort Totenstille hat sich das Sujet der Gehörlosen zum Sujet gewählt, eine Welt der Stille, die Peter Probst (Buch) und Zoltan Spirandelli (Regie) feinfühlig und mit Geschick in immer neuen Varianten des Missverstehens, des Nicht-verstehen-Wollens und des Lippenlesens inszenieren. Stellbrink taucht tief in diese Welt ein, indem er sich mit Ohrenstöpseln und Schalldämpfern vom ewigen Lärmstrom der Straße und allen anderen Geräuschquellen verabschiedet und ersichtlich Gefallen daran findet.

Bei der Raue nach der Beerdigung des Leiters einer Gehörlosenschule hören wir die üblichen Slogans: "Nicht Gehörlose sind behindert, sie werden behindert."

Gleich darauf erleben wir Ben und wozu ihn seine Behinderung befähigt: An den Lippen des aufgebracht telefonierenden Georg Weilhammer (Martin Geuer) kann er ablesen, dass Weilhammer Dreck am Stecken, womöglich eine Frau ermordet hat. Und dass er die Hilfe eines Kumpels benötigt, die Leiche zu beseitigen.

Ben beschließt, Weilhammer zu erpressen, um seiner Freundin Ambra ein Studium in den USA zu ermöglichen.

Ein guter, schlüssig gebauter Tatort. Die Verdachtsmomente verlagern sich von Ben auf Kassandra, die er für Ambra hat sitzen lassen, und bezieht Weilhammer und seinen Komplizen beizeiten mit ein. Einjeder handelt aus nachvollziehbarem Eigeninteresse, was mehr ist, als die meisten Tatort-Drehbücher zu bieten haben.

Brillant Kassandra Wedel. Ihr expressives Tanzen gehorcht allein den hämmernden Beats der Musik; ihr Gebärden- und Mienenspiel weckt Erinnerungen an die ebenfalls gehörlose Oscar-Preisträgerin Marlin Matlin.

Devid Striesow, noch gut gepolstert von den Pfunden, die er sich für die Kerkeling-Rolle in "Ich bin dann mal weg" angefuttert hatte, vollzieht eine Wandlung vom Clown zum Kauz mit Kanten. War er in vorherigen Saarbrücken-Folgen eher der arglose Tor, der die Verbrechen, die ihm widerfuhren, mit Freundlichkeit und Güte regelte, gibt er sich jetzt deutlich unwirscher, härter, aber kaum weniger eigenwillig und unberechenbar als vordem.

Zum Niederknien die Szenen, in denen er sich die Gebärdensprache der Gehörlosen aneignet – und den Temperamentbolzen Kassandra gleich mit dazu.

Das könnte Sie auch interessieren