In Gedenken an den Märtyrer

ARTE zeigt "Becoming Nawalny": Doku über Alexej Nawalny erscheint nun in anderem Licht

17.02.2024, 09.19 Uhr
von Hans Czerny

Die Nachricht vom plötzlichen Tod von Alexej Nawalny hat Millionen von Menschen erschüttert. In Erinnerung an den russischen Regierungskritiker sendet ARTE die Dokumentation "Becoming Nawalny" von Igor Sadreev. 

Die Nachricht verbreitete sich am Freitagnachmittag schnell: Der russische Regierungskritiker Alexej Nawalny ist nach russischen Angaben tot. ARTE zieht aus diesem Anlass die für März vorgesehene Ausstrahlung des Dokumentarfilms "Becoming Nawalny – Putins Staatsfeind Nr. 1" von Igor Sadreev und Aleksandr Urzhanov vor und nimmt ihn am Samstag, 17. Februar, um 15.55 Uhr ins Programm. Darüber hinaus ist der Film online in der ARTE-Mediathek arte.tv zu sehen.

Alexej Nawalny - der Kämpfer

War dieser Alexej Nawalny, Herausforderer Putins und Kämpfer für die Menschenrechte, ein Held, ein Fatalist, ein Heiliger? Er wurde vergiftet und wäre im Flugzeug 2020 beinahe diesem Mordanschlag erlegen. Er landete durch Putins getreue Helfer immer wieder im Gefängnis und hielt den Weltrekord an Inhaftierungen. Insgesamt wurde er zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt.

Zuletzt saß er in einem sibirischen Gulag ein. Aber unterkriegen ließ er sich nicht, grüßte immer wieder seine Freunde und politischen Weggefährten von der von ihm gegründeten Menschenrechtskommission. "Mir geht es gut. Ich bin heilfroh, dass ich endlich angekommen bin", so ließ er nach seinem Wiederauftauchen zuletzt noch aus dem sibirischen Gefängnis wissen.

Wer war Nawalny?

Die Geschichte, die der Film von Igor Sadreev (Regie) und Aleksandr Urzhanov erzählt, ist nicht neu. Vieles von dem, was hier gezeigt wird, glaubte man bereits zu wissen. Und wenn der Synchronsprecher gleich zu Beginn sagt: "Wer ist Nawalny? – Diese Frage bleibt offen", dann war das berechtigt. Wie will man begreifen, dass einer, nachdem er nach einem 2020 erfolgten Giftanschlag aus dem Koma erwacht ist und von den Ärzten in Berlin gerettet wurde, zurückkehrt nach Moskau, um sich dort gleich wieder gefangen nehmen zu lassen? Einer, der behauptete: "Der treueste Anhänger unserer Arbeit, der mich auch vergiften ließ, ist Wladimir Putin."

Persönliche Interviews mit Nawalny sucht man in diesem Porträt vergebens, es ist eine Ansammlung von informativen Mitschnitten anderer, von Statements und Videos. Nawalny entdeckte für sich und seine Oppositionspolitik die sozialen Medien, er hatte stets Millionen von Followern, sein Aufstieg als Oppositioneller war unmittelbar damit verbunden. Am eindrucksvollsten ist "Becoming Nawalny" denn auch immer dort, wo der Film mitten hineingeht in die Szenerie der Oppositionellen, in die Clubs des Beginns, als bestellte Hooligans die Versammlungen der Menschenrechtler stören und Nawalny gar mit Schüssen aus einer Schreckschusspistole antworten muss. Auch dann, wenn ihn immer wieder die Polizisten abführen und ihm dabei fast "die Knochen brechen", wie er stöhnt, ist die zumindest die Handykamera hautnah dabei.

Leider ohne ein Interview des Regierungskritikers

Es gibt im Film allerdings auch einen anderen Nawalny, dessen Familie ursprünglich aus der Ukraine stammt und der sich in seiner Anfangszeit als russischer Nationalist gerierte, dem offenbar jedes Mittel recht war, um mithilfe einer nationalistischen Partei an die Macht zu gelangen. Andererseits nannte er, heimlich getauft, Christus den "größten Politiker der Geschichte".

Er verkeilte sich im Verlauf seines 47-jährigen Lebens immer wieder in Putin, seinen größten Feind. Ohne ihn wäre er womöglich nie Menschenrechtler und Politiker geworden. "Putin ist seine einzige Agenda", sagt ein Zeitzeuge, Europaabgeordneter der Grünen, etwas vorwurfsvoll im Film, und es ist nicht ganz klar, ob er damit die oppositionelle Haltung oder den Kampf um die Menschenwürde meint.

Bei all der Ansammlung historischer Fakten seit Beginn der Schul- und Studienzeit, der Abdankung Jelzins, der anno 2000 Putin die politische Bühne überließ und damit bis zuletzt Nawalnys Zorn über die vertane Freiheitschance Russlands schürte, ist es schmerzlich, dass es kein Gespräch mit dem Menschenrechtler selbst geben kann. Der Autor Sadreev musste, wie er sagt, seine Interviews und Videos in Moskau im Blumenladen einer Freundin verstecken. Er schmuggelte sie in einer Kiste mit sich auf der Flucht nach Berlin, kurz nachdem Russland die Ukraine überfallen hatte, um "endlich Nawalnys Geschichte zu erzählen".

Putin auf seinem Thron

Schrecklich, dass diese Geschichte auch immer die des Wladimir Putin ist. Fast erdrückend wirken die Bilder, in denen Putin nach gewonnener Wahl mal wieder mit wiegendem Schritt seinen Thronsaal im Kreml betritt, um die Gesetze nach seiner Fasson zu verbiegen. Stets schlägt die Glocke vom Turm des Kreml dazu, und die Uhr zeigt auf zwölf.

"Solange Putin im Kreml regiert, kommt er nicht frei", heißt es über Nawalny im Kommentar. – "Wie kann man Krokodilen vorwerfen, dass sie fressen? So sind sie eben", sagt Nawalnys Stiftungssponsor Boris Zimin. Vor dem Hintergrund der aktuellen Nachrichten wirkt vieles, was in diesem Film zu hören und sehe ist, dann doch in einem ganz anderen Licht. Eine weitere Ausstrahlung der Dokumentation folgt am Dienstag, 12. März, 20.15 Uhr, bei ARTE im Rahmen des Schwerpunkts "Russland wählt – Putin forever?"


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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